Das Happy End vorab
DDR-Zeitzeuge besucht die Gaesdonck
Am 12. Februar gab es für die Geschichtskurse des Abiturjahrgangs eine ganz besondere Geschichtsstunde. Es war nämlich erneut der DDR-Zeitzeuge Burkhard Seeberg zu Gast, um seine bewegende Geschichte zu erzählen und den Jugendlichen Denkanstöße auch über den Geschichtsunterricht hinaus zu geben.
Herr Seeberg ist als Münsteraner für die Geschichte der DDR und das vom Ministerium für Staatsicherheit (MfS) begangene Unrecht ein eher ungewöhnlicher Zeitzeuge. So berichtete er zuerst über seine politisch bewegte eigene Schulzeit als Schülersprecher des Wilhelm-Hittdorf-Gymnasiums und später aller Münsteraner Gymnasien sowie über den mitorganisierten Schulstreik 1968. Da die von ihm favorisierten Jusos zum damaligen Zeitpunkt ein Aufnahmestopp für Schülerinnen und Schüler verhängt hatten und er durch den Kontakt zu einigen Lehrer mit Berufsverbot geprägt wurde, landete Herr Seeberg schließlich bei der DKP (Deutsche Kommunistische Partei). Als er bereits sein Mathematikstudium aufgenommen hatte, zog es ihn 1973 dann zu den Weltfestspielen der Jugend und Studenten nach Ostberlin, bei denen er seine spätere Frau kennenlernte.
Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt seines Vortrags äußerte sich das Interesse der Schülerinnen und Schüler in vielen Fragen, sodass Herr Seeberg hier bereits das Happy End seiner Geschichte vorwegnahm, dass nämlich sowohl er als auch seine damalige Freundin nach mehrmonatiger Stasi-Haft von der Bundesrepublik freigekauft wurden. Diese Vorwegnahme schmälerte allerdings keineswegs die Spannung seines Vortrags, in dem er sehr persönlich über diese deutsch-deutsche Liebesbeziehung und die damit verbundenen Schwierigkeiten sprach. Er berichtete aber nicht nur über die Beschränkungen der Einreise für Westdeutsche und die Schikanen der Kontrolle an der Grenze, sondern auch über die Eindrücke, die er bei seinen Reisen über die Lebenswirklichkeit der DDR gewann. Diese führten nicht zuletzt dazu, dass er sich immer mehr von der DKP und dem realexistierenden Sozialismus entfremdete. Dabei wusste er seinen Vortrag immer wieder mit Anekdoten über den ganz normalen Wahnsinn der DDR-Gesellschaft aufzulockern, dass man etwa bereits bei der Geburt eines Mädchens eine elektrische Nähmaschine bestellte, damit sie im Teenageralter auch wirklich geliefert wurde und die Jugendliche damit der Tristesse der DDR-Mode entfliehen konnte.
Bedrückender war hingegen die hohe Anzahl von hauptamtlichen Mitarbeitern und inoffiziellen Mitarbeitern des MfS, die ihm in seinen DDR-Aufenthalten begegneten und über die er erst nachträglich bei der Einsicht in seine Stasi-Akten erfuhr. So entpuppten sich mehrere Bekanntschaften aus der Zeit als Spitzel, die versuchten Informationen über seine Kontakte zu den Münsteraner Universitätsprofessoren seines Mathematikstudiums zu gewinnen. Trotz dieses hohen Aufwands des MfS wurde die Flucht seiner Freundin nicht auf diesem Weg vereitelt. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war es stattdessen ein kleines Detail des Fluchtplans, das die geplante Ausreise über Ungarn verhinderte: Zuerst hatte sich Herr Seeberg mithilfe einer Münsteraner Bekannten, die seiner Freundin ähnelte, einen gefälschten Reisepass erschlichen. Statt ihres eigenen Fotos hatte diese bei der Beantragung des Passes das Foto seiner geliebten Freundin abgegeben. Nun mussten noch die entsprechenden Stempel für die Einreise gefälscht werden, damit die Geschichte glaubhaft erschien. Da aber die Grenzbehörden der DDR die Stempelfarbe nach einem nicht durchschaubaren Muster wechselten, war es schließlich wohl die verkehrte Stempelfarbe im Reisepass, die den Plan auffliegen ließ. So wurden die beiden in Ungarn an der Ausreise gehindert und angewiesen in die DDR zurückzukehren, wo sie direkt nach ihrer Ankunft von der Stasi in Empfang genommen wurden. Für die Unterstützung bei der Verhinderung der Flucht bedankte sich der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke sogar persönlich bei den ungarischen Behörden, wie Herr Seeberg aus seiner Stasi-Akte erfahren konnte.
Das Pärchen erwartete in der Folge eine mehrmonatige Haft, von der Herr Seeberg anfangs siebeneinhalb Wochen in Isolationshaft im geheimen Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen zubrachte. Er schilderte dabei die erniedrigenden Haftbedingungen, mit denen versucht wurde, die Häftlinge psychisch zu brechen, um an Informationen über weitere Mitwisser zu gelangen. Nach seiner Verurteilung wegen verbrecherischen Menschenhandels verbüßte er weitere Zeit in der Haftanstalt Bautzen II, in der weniger strenge Haftbedingungen herrschten. Seine Freundin wurde dagegen in das Gefängnis Hoheneck verbracht, wo sie ungleich härtere Bedingungen trafen: Sie war zusammen mit einer Gruppe von 16 Frauen untergebracht, die zum überwiegenden Teil Schwerverbrecherinnen waren. Dort musste sie in Schichtarbeit Strumpfhosen nähen, die im Übrigen auch für den westdeutschen Markt bestimmt waren. Schließlich wurden sowohl er als auch seine Freundin für jeweils 70.000 DM von der Bundesrepublik freigekauft, was aufgrund des ihm zur Last gelegten Straftatbestands einer gewissen Ironie nicht entbehrte.
Dass das vorweggenommene Happy End der Spannung keinen Abbruch tat, ließ sich auch an den nachträglichen Schüleräußerungen erkennen. Die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler zeigten nämlich nicht nur ihre Begeisterung über den Vortrag, sondern äußerten auch ihr Bedauern, dass man nicht noch eine weitere Stunde zur Verfügung hatte, um mit Herrn Seeberg zu diskutieren, welche Lehren man heute aus dieser Epoche ziehen kann.