No TV! – Lesen Sie!

Nachruf auf Prof. Dr. Dr. Arnold Angenendt von Dr. phil. Klaus Johann M. A. (Abiturientia 1988)

© Cristian Gennaris

Mit Prof. em. Dr. Dr. h. c. Arnold Angenendt (Abiturientia 1955), der am 8. August 2021 vier Tage vor seinem 87. Geburtstag gestorben ist, verliert die Gaesdoncker Gemeinschaft einen der bedeutendsten unter allen Abiturienten des Collegium Augustinianum.

Bedeutend war der Priester und Kirchenhistoriker – beides war er aus Passion und mit ganzer Seele – an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster weit über sein Fach hinaus, weil es ihm gelang, die Kirchengeschichte vom Ruch der Apologetik zu befreien und auf ein wissenschaftliches Niveau zu heben, das dem anderer Disziplinen historischer Forschung mindestens ebenbürtig war, wenn es dieses nicht übertraf; für diese Leistung, die mit einer qualitativ wie quantitativ beeindruckenden Produktivität einherging, genoß der persönlich bescheidene Gelehrte in der weltweiten Wissenschaftsgemeinde höchstes Ansehen.

Wer – wie Generationen von Gaesdoncker Studenten in Münster (und keineswegs nur Theologen) – die Vorlesungen dieses wortgewaltigen Redners und leidenschaftlichen Hochschullehrers hören oder genauer: erleben wollte, mußte früh aufstehen, und es reichte nicht, c. t. zu erscheinen; denn er füllte jeden noch so großen Hörsaal bis auf den letzten Platz. Wer aber dann in diesen intellektuellen wie rhetorischen Genuß kam, der konnte bei Arnold Angenendt sehr viel lernen, z. B., daß das Mittelalter allemal weit weniger finster war, als es die handelsüblichen clichés darüber in ihrer bornierten Unaufgeklärtheit sind.

Was die sechzehn Bücher und rund 200 Artikel und Aufsätze des stets gut lesbar und verständlich schreibenden Arnold Angenendt betrifft, sei der – wohl nicht zufällig an das Augustinische „tolle lege, tolle lege“ gemahnende – makkaronische Zweizeiler zitiert, mit dem er sein studentisches Auditorium nicht ohne Erfolg zu einem Medienwechsel ermunterte: „No TV!/ Lesen Sie!“ Das gilt sowohl für seine zu Standardwerken gewordenen wissenschaftlichen Pionierleistungen wie „Heilige und Reliquien“ oder „Geschichte der Religiosität im Mittelalter“ als auch für seine eher an ein breiteres Lesepublikum gerichteten Bücher wie „Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert“ oder „Ehe, Liebe und Sexualität im Christentum“, in denen Arnold Angenendt faktenbasiert und unter Berücksichtigung der (so kann man bei seinem Lesefleiß mutmaßen) gesamten Forschungsliteratur manche ,schwarze Legendeʻ der Kirchengeschichte aufdeckt, aber auch zu etlichen kritischen Anfragen an seine Kirche kommt, auf die deren (nicht nur von dem integren Seelsorger dringlich erwarteten) Antworten immer noch ausstehen.

Der in Asperden geborene Bauernsohn, den seine Gaesdoncker Freunde Nöll nannten, gehörte zu den ersten Schülern, die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder die Gaesdonck bezogen und sie buchstäblich mit ihrer Hände Arbeit wiederaufgebaut haben. Zur Gaesdonck und zu seinen Mitschülern hielt Arnold Angenendt zeit seines Lebens Kontakt. Die Gaesdonck darf stolz sein, ihn zu ihren Abiturienten zählen zu können, und sie darf es sich zur Ehre anrechnen, daß er ihr zweimal – zum 150. Geburtstag des Collegium Augustinianum 1999 und zum 600. Jahrestag der Klostergründung 2006 – einen Festvortrag gehalten hat (nachzulesen in den „Gaesdoncker Blättern“ von 2000 bzw. 2006).

Bei aller Verbundenheit mit seinem alten Internatsgymnasium warnte Arnold Angenendt freilich in dem Vortrag von 1999 vor selbstzufriedenem Schulterklopfen ob des Erreichten; denn er wußte, daß die Gaesdonck (ebenso wie die Kirche) eine semper reformanda, eine stetig zu erneuernde, bleibt und durch Stillstand das Erreichte nicht gesichert werden kann. Sein damals formuliertes Erziehungsziel, wonach die Absolventen einer katholischen Schule nicht „Menschen ohne Gewissen“, „Ideologie-Menschen“ auf dem „Massen-Level“, sondern Menschen mit einem besonders ausgeprägten Gewissen sein möchten, die „das Gesetz über das Gesetz hinaus erfüllen“, ist gleichwohl unverändert und gerade heute aktuell.

Die Gaesdonck sowie die Gaesdonckerinnen und Gaesdoncker werden Arnold Angenendt ein ehrendes und dankbares Andenken bewahren. Unser Mitgefühl gilt seiner Familie und allen, die um ihn trauern. Requiescat in pace et lux perpetua luceat ei!

Lebenslange Verbundenheit – Arnold Angenendt bei seinem letzten Besuch auf der Gaesdonck im Sommer 2021